Monday, December 10, 2007

Quote of the Day XI

Viel Arges gibt es heute zu fürchten. Doch das besondere Grauen, das ein Spuk auslöst, ist selten geworden. Nur wenige können sich einer unheimlichen Erfahrung rühmen, so beliebt sie auch als erzählte ist. Das Leben verläuft dieser Art geheuer, Ausnahmen lösen sich meist in Schein oder Betrug auf. Auch der Rest ist häufiger trüb als schaurig.(...)
Wie anders brachten die alten Dinge aufs Fürchten, wie zogen sie es an. Das winklige Haus, das kleine Öllicht, die vielen Schatten: der Spuk liegt nahe. Niemand weiß heute mehr, wie dunkel die Nacht ist, außer im Wald, und auch da fehlt die meilenweite Einsamkeit früherer Zeiten. Wo bleibt ein Irrlicht neben dem Scheinwerfer des Autos, das auf der Landstraße jagt; was ist die Totenuhr im Gebälk sobald der Bauer sein Radio auf London eingestellt hat. Der Klabautermann ist obdachlos, seit das Segelschiff verschwunden ist, ein Kobold gar hinterm Gasherd oder der Zentralheizung ist nicht unheimlich, sondern lächerlich und geschmacklos. Kauzgeschrei, Türknarren und Knirschen von Sargdeckelschrauben hat sich mit recht auf den schlecht beleuchteten Horrorfilm zurückgezogen. (...)
Gewiß, auch die neue Technik hat das 'neue Mittelalter' nicht verhindert, worin wir stehen (und das erst jetzt das finstere genannt werden kann): ein SA-Überfall zur Nacht nimmt es mit dem besten Grauen auf, und der Judenwahn oder Bolschewikenwahn, der die Nazis wiederum beunruhigt, ist vom alten Hexen- oder Teufelschreck nur stofflich verschieden. (...)
Es gibt heute bedeutend echtere, nähere Grauenwelt als diejenige des Schauerromans, der unter der elektrischen Standlampe gelesen wird. Und dieser Graus geht nicht weniger ins Mark, weil er diesseits statt jenseitig ist, weil er an Teuflisches glauben läßt, ohne im mindesten noch Glauben an den Teufel nötig zu haben. Das ist der Spuk, der trotz elektrischer Stromflut übrig geblieben ist, ja sich ihrer bis zum Jupiterlicht über Fratzen bedient, die auch am Tage nicht verschwinden, bis zu geladenen Stacheldraht um sehr irdische Höllen. Also schafft die Technik doch nur den illusionären, nicht den einwandfreien Spuk bis jetzt fort, nämlich das Infernalische aus dem menschlichen Abgrund selber und in einer Welt, deren Technik das Urböse geradezu ungeahnt elektrifiziert hat. Es gibt auch eine Nacht und eine Fülle neuer Schauergeschichten in ihr, die erst recht Nacht bleibt, weil zu sehr bloß Glühbirne, zu wenig anders glühendes Licht darin funkt, nachdenkliches.

Ernst Bloch: Technik und Geistererscheinungen (1935)